Frühstücksschallplatten und Mehltüten |
Jürgen Roth
Frühstücksschallplatten und Mehltüten
Tageszeitung, 22. September 2007
Nachfolgender Text ist am 22. September 2007 im taz.mag der tageszeitung erscheinen - und zwar nicht in der hier zu lesenden, sondern in einer ohne Rücksprache von der Redaktion fahrlässig und dummbeutelig erzeugten Version. Der Autor legt einen gewissen Wert darauf, die hiesige Fassung als die gültige zu verstehen.
J.R.
Frühstücksschallplatten und Mehltüten
Am 30. Januar 1972 saß Ror Wolf, eine elftägige Lesereise durch Großbritannien war gerade zu Ende gegangen, im Flugzeug von London nach Frankfurt am Main. Er nahm den druckfrischen, an Bord ausliegenden Spiegel (6/1972) zur Hand, blätterte in ihm herum und stieß irgendwann auf Seite 71 auf folgende Passage eines langen Beitrags über die RAF: „Am 10. Dezember 1970 klingelte es bei dem Schriftsteller Michael Schulte, 30, Frankfurt, Offenbacher Landstraße 395, 3. Stock, links. In der Tür zu der Dachwohnung (zweieinhalb Zimmer) stand eine blonde, kurzhaarige Frau. Sie wollte den Schriftsteller Ror Wolf sprechen, der vor Schulte in der Wohnung gewohnt hatte. Schulte bat die Besucherin einzutreten: ‚Kommen Sie doch rein, ich geb’ Ihnen seine neue Adresse.‘ Als die Dame erfuhr, daß Ror Wolf inzwischen in die Schweiz übergesiedelt war, meinte sie: ‚Das nutzt dann ja nichts.‘ Nach einer Weile duzte die Besucherin den Gastgeber und verriet, was sie von Ror Wolf wollte: Quartier für linke Freunde. Die Frau fragte: ‚Was hältst du von den Baader-Leuten?‘ Darauf Schulte: ‚Nicht viel.‘ Die Frau: ‚Ich bin die Meinhof.‘“ Ror Wolf also saß im Flieger – er wohnte unterdessen mit seiner Frau wieder in Frankfurt, am Bornheimer Hang – und traute seinen Augen kaum. „Ich las das, und ich war absolut amüsiert!“ erzählt er heute. Daß er fortan als vermeintlicher RAF-Sympathisant ins Visier der Fahnder geriet, damit rechnete er damals nicht. „Ich dachte: Schöne Geschichte! Wie die Welt sich so dreht …“ Diese absonderliche Konstellation – daß einer der größten deutschen Dichter, dem Agitprop und klandestine politische Aktionen so fern liegen wie sonst nichts, zum potentiellen Staatsfeind wird – hatte natürlich eine Vorgeschichte. „Ich habe mich, 1968 in Basel wohnend, ohne großen Kontakt zu Leuten, mal wieder nach Frankfurt gesehnt“, erläutert Ror Wolf. „Da lebten die meisten meiner Freunde, und außerdem waren die sechziger Jahre schon vor ’68 ziemlich turbulent gewesen, vor allem im Bereich der Literatur, der Kunst, der Musik – und vor allem in Frankfurt. An dem, was sich da nun zu tun schien, wollte ich unbedingt teilnehmen.“ Im Oktober 1968 mietete Ror Wolf in Frankfurt-Oberrad, in der Offenbacher Landstraße, eine kleine Wohnung an. Von seinem Zweitwohnsitz aus unternahm er ausgedehnte Streifzüge durch die Szene: „Ich bin mitten in die Bewegungsumschaltung hineingekommen, in die großen Meetings in stillgelegten Fabrikhallen. Ich war ja schon sechsunddreißig und galt als viel zu alt für die Revolte, aber ich hab’ neugierig und erwartungsvoll beobachtet, was die trieben. Allerdings hab’ ich sehr schnell gesehen, daß das nichts war, was mich beeindrucken konnte, im Gegenteil. 18-, 19jährige sind auf die Podien gestiegen und haben markige, saudumme Reden gehalten, Schmetterreden, richtige Führerreden. Es war also ziemlich klar, daß es sich zu einer Ideologie entwickelte. Ich bin jemand, der zwei Ideologien erlebt hat: als Kind die Ideologie des Nationalsozialismus, der ich als Pimpf treudeutsch-blauäugig gefolgt bin, und als junger Kerl die Ideologie des Stalinismus. Schon unmittelbar nach Kriegsende merkte ich, daß Ideologien für meine Gemütslage, meine Lebensauffassung nichts sind. Dann entdeckte ich den Jazz, der in der DDR verboten war, ich liebte französische und amerikanische Filme, die nicht laufen durften. Ich bin nicht zum Studium zugelassen worden und zwei Jahre als Bauarbeiter tätig gewesen, und 1953, kurz nach Stalins Tod, hab’ ich meinen kleinen Koffer gepackt und bin über Berlin ausgereist. So begann meine Odyssee mit schließlich vierunddreißig Umzügen.“ Jetzt, in den Jahren 1968/69, schienen sich bestimmte Erfahrungen zu wiederholen, mit einer absurden Pointe: „Die Parole, die Literatur sei tot, oder daß richtig gute Zeitungen wie der Frankfurter Diskus, bei dem ich lange Feuilletonredakteur gewesen war, zu Wandzeitungen und Parolenblättern degradiert wurden, in denen Verhaltensanweisungen verbreitet wurden – bei alledem merkte ich, daß meine Rückkehr nach Frankfurt eigentlich für die Katz’ war. Und dann gerate ich, der für keinerlei Ideologie, geschweige denn für terroristische Aktionen geeignet ist, auch noch ins Fahndungsraster. Ich habe keinerlei Sympathie für Terrorismus, für Fundamentalismus. Egal, wer die Bomben schmeißt, ich mag das nicht! Der einzige aus diesem Umfeld, den ich zweimal flüchtig gesehen habe, war Bernward Vesper, der ja mit der Ensslin einen Sohn hatte. Ensslin hatte sich wohl aus Abenteuerlust den Baader geschnappt, der eigentlich eine Pfeife gewesen sein muß, aber irgendeine Wirkung auf die Damenwelt ausübte. Nur Krawall und Weiber – sonst ging es dem um nichts. Marie-Luise Scherer, die berühmte Spiegel-Kolumnistin, sagte mir mal, sie kenne den Baader noch, wie er mit dem Hündchen auf dem Kuhdamm spazierengegangen sei. Ein geschniegelter Bubi, der da entlanggeschritten ist – das sagt einiges.“ Ein gutes halbes Jahr, bevor Ulrike Meinhof an der Tür von Ror Wolfs (ehemaliger) Wohnung auftauchte, hatte sich Ror Wolf desillusioniert wieder nach Basel zurückgezogen und Michael Schulte, einem flüchtigen Bekannten, die Unterkunft als Nachmieter überlassen. Was schließlich im Dezember 1970 passierte, sagt Ror Wolf, „weiß ich aus dem Spiegel und Erzählungen von Freunden“. Ulrike Meinhof hatte Schultes Wohnung stillschweigend okkupiert. Nach und nach nisteten sich Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Astrid Proll, Holger Meins, Jan-Carl Raspe und Beate Sturm in der Offenbacher Landstraße ein. Das Domizil fungierte etwa drei Monate lang, wie der Spiegel schrieb, als „Hauptquartier“ der Gruppe, und die Besetzer ließen keinen Zweifel daran, wer Herr im Hause war. „Das einzige, was ich in meiner Wohnung noch hatte, war das Bett“, zitierte der Spiegel Michael Schulte, der insbesondere Baader kein gutes Zeugnis ausstellte: „Der sah in seinem Tarnaufzug aus, als hätte er sich einfach eine Tüte Mehl übers Haar geschüttet.“ Ror Wolf gibt weitere Details preis: „Ich weiß, daß sie z. B. auf seinen Schallplatten – Schulte war ein großer Klassikfan – gefrühstückt haben. Wie die Asozialen. Alles Provokation. Und Zermürbung. Sie haben die Umschläge von Schultes Büchern abgewickelt und darauf Notizen gemacht. Die Wohnung und die Einrichtung gehörten längst ihnen. Das war offenbar die Revolution.“ Etwa eineinhalb Jahre nach den Vorfällen in Oberrad begannen schließlich die Scherereien für den nichtsahnenden Dichter: „Die Folgen des Spiegel-Artikels waren, ja: diffus. Man merkt ja nur manchmal, daß man überwacht wird, nämlich wenn sich die Überwacher saudämlich verhalten. Meine Frau und ich sind observiert worden. Ab und zu kamen kleine Polizeieinheiten in der Inheidener Straße in Bornheim vorbei, immer, wenn wir Gäste hatten, und die mußten sich dann ausweisen. Sie haben es beim erstenmal simpel damit begründet, daß hier in dieser Gegend Angehörige der Baader-Meinhof-Gruppe wohnen sollten und daß sie allen Spuren nachgingen. Das war ungefähr ein halbes Jahr nach dem Erscheinen des Artikels. Bis zu diesem Moment war ich nicht auf den Gedanken gekommen, im Visier der Fahnder zu sein. Von da an aber bestand kein Zweifel mehr. Und das ging bis in die achtziger Jahre hinein weiter.“ Die Vorhaltungen der Beamten nahmen bisweilen bizarre Züge an: „Ein andermal kam ein Zivilfahnder vorbei, legte die Beine auf meinen Tisch und sagte: ‚Wissen Sie, im Nebenhaus hat auch ein Mitglied der RAF gewohnt.‘ Was konnte ich dafür! Na ja, erst hatte ich der RAF eine Wohnung vermietet, und jetzt war ich auch noch RAF-Nachbar. Unglaublich. Oder es tauchten Polizisten auf, ich hatte wieder Gäste, und sagten: ‚Sie sind angezeigt worden. Sie sollen in Frankfurt ein Motorrad gestohlen haben.‘ Völlig idiotisch!“ Ror Wolf ist in der Folge der Frankfurter Wohnungsfarce über viele Jahre hinweg beschattet worden. „Und, klar, es knackte im Telephon“, erzählt er. „Ein andermal, als wir längst in Wiesbaden wohnten, ging ich ans Telephon, hob ab und sagte: ‚Ja, hier Wolf, bitte?‘ Ein Mann grummelte etwas, dann zog sich die Stimme zurück. Da wollte ich wissen, wer das war. Ich blieb dran und wartete und wartete, und plötzlich meldete sich eine Damenstimme: ‚Hier Bundeskriminalamt Wiesbaden.‘ Eine Fehlschaltung! Ich sagte: ‚Sie haben mich gerade angerufen! Ich möchte gerne wissen, was Sie von mir wollen!‘ Das war 1988. 1988! Es ist doch interessant. Es paßte in das ganze Bild.“ Im Rückblick mehren sich die Indizien dafür, daß der Staatsschutz Ror Wolf früher, als ihm selbst klar war, dem terroristischen Milieu zuzuordnen versuchte. „Allerdings“, ergänzt er, „habe ich schon 1971, zurück in Basel, plötzlich ein merkwürdiges Interesse an meiner Person festgestellt. Ich wurde zur Fremdenpolizei vorgeladen. Man war sehr höflich und fragte mich: ‚Haben Sie Beziehungen zur Kommunistischen Partei? Sind Sie Kommunist? Oder haben Sie kommunistische Freunde?‘ Ich sagte: ‚Wenn ich ganz ehrlich bin: Ich kenne keinen Kommunisten. Ich habe keine Beziehungen zur Kommunistischen Partei. Ich habe die DDR auch aus politischen Gründen verlassen und treibe mich seit dieser Zeit im Westen herum, ohne Kontakt zu Parteien überhaupt.‘ Das war eine Anfrage aus Deutschland, die Sache war bereits in Bewegung gesetzt. Das ist mir aber, wie gesagt, erst später aufgegangen. Und Ende 1971 hat man meine Frau und mich aus der Schweiz gewissermaßen hinauskomplimentiert. Meine Frau hatte von der Firma, bei der sie arbeitete, ein Bombenangebot bekommen. Dann unternahmen wir eine vierwöchige Reise durch Irland, und als wir zurückkamen, hieß es aus der Firma: Wir können unser Versprechen nicht halten, Sie sind uns zu teuer geworden. Womit das zusammenhing, ist ziemlich klar.“ Daß Ror Wolf aus all den krummen Verwicklungen allerdings kein Schaden erwuchs, darf nicht unerwähnt bleiben – genausowenig, daß er dem dollen Andreas Baader aber tatsächlich mal, wenn auch nicht in Frankfurt, begegnet ist: „Nachdem wir aus der Schweiz weggegangen waren, war ich zunächst drei Monate in Berlin, wegen eines Stipendiums des Senats für Wissenschaft und Kunst. Eines Abends rief mich ein Kollege an und sagte: ‚Komm unbedingt rüber, wir kriegen wichtigen Besuch!‘ – ‚Gibt’s was zu trinken?‘ – ‚Klar!‘ Ich sitz’ da also rum, und es kommen drei mir völlig fremde Personen rein, zwei Frauen und ein Mann, alle vermummt, offenbar mit Perücken. Die beiden Frauen haben überhaupt nichts gesagt, und der Mann hat sofort angefangen zu plappern. Er überfiel mich mit einem Wortschwall, und schon im fünften Satz sagte er: ‚Also, wir sind inzwischen in der Lage, das ganze Trinkwasser von Berlin zu vergiften.‘ Ich sagte: ‚Warum? Weswegen?‘ Der kam mir wie Münchhausen vor. Er wurde unglaublich wütend, weil ich nicht auf seine Offerten einging. Ich fand sein Gerede saudumm und wußte ja auch gar nicht, wer er war. Dann sagte er zu den beiden Mädchen: ‚Los, wir gehen!‘ Sie befolgten den Befehl und verschwanden. Ich fragte meinen Gastgeber: ‚Wer war das denn?‘ – ‚Weißt du das nicht?! Das war Baader, das waren die Ensslin und die Meinhof!‘ Vielleicht war es nach der Wohnungsgeschichte noch mal ein Versuch, mich auf den rechten Weg des Sympathisanten zu bringen. Es wurde halt viel gefaselt in dieser Zeit, und die Baader-Leute waren enorme Wichtigtuer. Solche Ideologien werden ja immer von Wichtigtuern entwickelt.“ |
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Letzte Aktualisierung ( Samstag, 24. November 2007 ) |
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